Skip to main content

Struktur: die Persönlichkeit des Weins

Struktur: die Persönlichkeit des Weins

Geschrieben von Miriam Schröer am .

Tannin, Körper & Co.: Was dir die Struktur eines Weines verrät

Bei Weinproben dreht sich viel darum, wie viele und welche Aromen man im Wein findet und wie ausgeprägt diese sind. Aber Wein ist noch mehr als Geruch und Geschmack.

Hast du dich schon mal mit der Struktur eines Weins beschäftigt?

Was es damit auf sich hat, erfährst du in diesem Artikel. Und wie das Wissen um die Struktur eines Weins dir dabei hilft, zielgerichtet den Wein auszuwählen, der dir schmeckt.

Jetzt magst du einwenden, dass du ja Wein trinken möchtest, weil er dir schmeckt und nicht, weil er so toll strukturiert ist. Vieles, was wir als „Aromen“ wahrnehmen, ist aber letztlich getarnte Struktur. Nur unser Gehirn übersetzt die Struktur in Geschmackseindrücke:

  • Rotwein muss für dich so richtig fruchtig schmecken? Dann suchst du letztlich einen tanninarmen Wein, denn Tannine können die Wahrnehmung der Frucht mindern und einen Wein trockener und erdiger erscheinen lassen.
  • Der Weißwein neulich war dir zu sauer? Säure wirkt als Puffer für Süße, ein Wein mit hoher Säure schmeckt also weniger süß. Außerdem macht ein solcher Wein dir den Mund wässrig, wie eine Zitrone.

Wie beim Hausbau sind die strukturellen Bausteine das Fundament, auf denen die Geschmacks- und Aromastoffe eines Weins ruhen.

Das Tolle: Wenn du die Struktur von Weinen, die dir schmecken, kennst und die Sprache verstehst, mit der diese Struktur beschrieben wird, dann ist das quasi eine Garantie dafür, dass du nie mehr den falschen Wein bestellst.

Wie also findet man die Struktur beim Verkosten, wie stellt sie sich dar und anhand welcher Kriterien lässt sie sich beschreiben?

Ein paar Begriffe, die hier erläutert werden, kennst du vermutlich schon. Verantwortlich für die so genannte Struktur eines Weins ist im Wesentlichen das Zusammenspiel der folgenden Komponenten:

Im Gegensatz zu Aromen kann man die Komponenten aus der Liste nicht riechen. Während man Süße und Säure geschmacklich wahrnehmen kann, ist das bei den letzten vier in der Liste nicht möglich.
Die Struktur eines Weins schmecken wir also nicht, sondern nehmen sie über ein Gefühl wahr, das beim Probieren am Gaumen entsteht.

1. Süße

Du weißt vielleicht, dass es sechs offiziell anerkannte Geschmacksempfindungen gibt: bitter, fettig, salzig, sauer, umami und eben süß. Süße nehmen wir an der Zungenspitze wahr. Wenn ein Wein süß schmeckt, dann liegt das vor allem am im Wein vorhandenen Restzucker, also der Menge an unvergorenem Zucker. Gemessen wird dieser in Gramm pro Liter (g/l).
Je nach per Analyse festgestelltem Restzuckergehalt wird der Wein dann in die Kategorien trocken, halbtrocken oder süß eingeordnet.

Zucker verleiht dem Wein einen süßeren Geschmack und ein volleres Mundgefühl. Er hebt die Fruchtigkeit des Weins hervor. Der Wein erscheint runder und fülliger und fühlt sich am Gaumen cremiger und weniger herb an. Diese weiche Textur kannst du überall auf der Zunge spüren, wobei die Süße im vorderen Teil der Zunge am intensivsten empfunden wird.

Achte auch auf die Süße im Abgang: bleibt der Wein auf der Zunge lange präsent, ist wahrscheinlich eine gewisse Süße vorhanden. Süße kannst du auch im Aroma des Weins feststellen: die Aromen von süßen Früchten, Honig und anderen süßen Noten deuten auf die Süße eines Weins hin.

Im Wesentlichen bezieht sich der Begriff „Süße“ auf das tatsächliche Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Zucker und reicht von trocken (kein wahrnehmbarer Zucker) bis süß, mit vielen Stufen dazwischen. Klingt simpel, oder?

Neben dem Analysewert und der schmeckbaren Süße gibt es aber auch die subjektive Wahrnehmung der Süße. Und diese ist eine wichtige Komponente der Struktur eines Weins.

Abhängig ist diese subjektive Wahrnehmung der Süße vom Zusammenspiel der verschiedenen Inhaltsstoffe des Weins. Das Vorhandensein oder Fehlen anderer struktureller Komponenten (zum Beispiel Säure und Tannin) lassen einen Wein süßer oder trockener erscheinen:

  • Wenn du fruchtigen oder süßen Rotwein bevorzugst, handelt es sich dabei höchstwahrscheinlich um Rotwein, der fruchtbetont ist und wenig Tannin und wenig Säure enthält.
  • Ein hoher Säuregehalt in einem Wein mit eigentlich hohem Restzucker wirkt wie ein Puffer. Der Wein stellt sich am Gaumen wesentlich weniger süß dar, als der Restzucker laut Analyse vermuten lassen würde.
    Das kannst du übrigens ganz leicht selbst ausprobieren: Nimm ein Glas Wasser und löse einen Esslöffel Zucker darin auf. Jetzt probiere – das Wasser schmeckt süß. Nimm dieselbe Mischung und gib einige Spritzer Zitronensaft hinzu. Die Süße tritt etwas zurück und die Mischung erhält eine saure, frische Komponente.
    Auch Kohlensäure vermindert den Eindruck von Süße.

Insgesamt kann Süße einem Wein Komplexität und Balance verleihen. Zu süße Weine aber fühlen sich unangenehm klebrig an. Daher ist es wichtig, dass die Süße und die anderen strukturellen Komponenten eines Weins im Gleichgewicht sind.

2. Säure

Die Geschmacksempfindung sauer nehmen wir vor allem an den Zungenrändern wahr. Ist ein Wein zu säurehaltig, kann er einen unangenehm herben Geschmack haben.

Das Empfinden der Säure ist – neben der Höhe des Restzuckergehalts, siehe oben – auch abhängig von der Weintemperatur. Je wärmer der Wein ist, desto stärker wirken Säure und Alkohol zusammen und verstärken den „scharfen“ Eindruck. Trinkst du beispielsweise einen trockenen Weißwein mit hoher Säure zu warm, dann wird sich bei dir im Mund höchstwahrscheinlich alles zusammenziehen. Trinkst du denselben Wein bei ca. bei ca. 12 °C , wird er dir schön frisch erscheinen. Mehr Informationen zur Trinktemperatur von Wein findest du übrigens hier.
Das ist auch schon ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Aspekt zum Säuregehalt: ohne Säure würde der Wein fad, schal und sirupartig schmecken.

Weine mit hohem Säuregehalt empfinden wir als leichter – selbst wenn sie satte 15 Volumenprozent Alkohol haben! Achte darauf, was der Wein am Gaumen bewirkt: wenn dir das Wasser im Mund zusammenläuft, hat der Wein einen eher hohen Säuregehalt.

Buzzwords beim Weinkauf:

Die Beschreibungen hell, frisch, mundwässernd und spritzig sind allesamt Indizien für einen eher säurebetonten Wein.

Übrigens wird die Säure dem Wein – anders als im Experiment oben – nicht hinzugefügt! Der Säuregehalt kommt aus den Trauben selbst und ist je nach Sorte und Klima, in dem die Trauben angebaut wurden, unterschiedlich. Weine mit einem höheren Säuregehalt stammen in der Regel aus kühleren Anbaugebieten.

3. Alkohol

Ein alkoholstarker Wein wird auch als "muskulös" beschrieben.

Alkohol beeinflusst sowohl den Geschmack als auch das Aroma des Weins.

Beim Verkosten macht sich der Alkoholgehalt durch ein warmes Gefühl in der Nase und im Mund bemerkbar. Er fühlt sich im hinteren Teil des Rachens wärmer an und kann leicht süßlich schmecken. Ein Wein mit zu viel Alkohol wirkt brandig oder scharf. Ist der Alkoholgehalt hingegen zu niedrig, schmeckt der Wein dünn und uninteressant.

In Bezug auf die Beschreibung von Wein kommt der Alkohol ins Spiel, wenn wir von „Körper“ sprechen. In einem ausgewogenen Wein sollten wir als Weintrinker den Alkohol selbst nicht schmecken – der Alkohol soll „gut integriert“ sein, also nicht hervorstehen. Alkohol kann aber ein praktischer Indikator sein, wenn du die Weinregale durchstöberst: in der Regel sind Weine mit höherem Alkoholgehalt vollmundiger und Weine mit niedrigerem Alkoholgehalt leichter im Geschmack.

Buzzwords beim Weinkauf:

Wenn du lieber Weine mit weniger Alkohol magst, dann achte in der Weinbeschreibung auf Formulierungen wie schlank, linear, geradlinig, trinkfreudig, filigran und ähnliche.
Darf es auch mal ein stärkerer Wein sein, dann halte Ausschau nach Beschreibungen wie kräftig, vollmundig, muskulös, kraftvoll, usw.

4. Tannin

Tannin hat nichts mit Geschmack und alles mit Textur zu tun. Tannine sind Polyphenole, die in Traubenschalen, Kernen, Blättern und Kämmen (Stielen), aber auch im Holz der Weinfässer vorkommen. Sie sind recht leicht zu erkennen, denn beim Verkosten reagieren sie mit unseren Schleimhäuten und hinterlassen ein trockenes, manchmal bitteres Gefühl am Gaumen.

Tannine sind in allen roten (und orangen) Weinen enthalten. Bei der Rotweinbereitung bleiben Schalen, Kerne und Kämme der Trauben in Kontakt mit dem Saft, sodass die Tannine in den Wein übergehen können. Je länger der Herstellungsprozess dauert, desto mehr Tannine können extrahiert werden. Bei Weißweinen spielt diese strukturelle Komponente in der Regel keine Rolle, da weiße Trauben in der Regel sofort nach der Lese von den Stielen getrennt und gepresst werden.

Tannin verleiht dem Wein ein „Rückgrat“. Vor allem bei kräftigen, reichhaltigen Weinen ist das wichtig, sonst würde der Wein schwerfällig und fett wirken. Am Tanningerüst können sich die anderen Komponenten quasi festhalten und der Wein erhält Balance und Komplexität. Außerdem wirken Tannine als Konservierungsmittel und ermöglichen damit, dass ein Wein altern kann.

Beim Verkosten werden Tannine nach zweierlei Gesichtspunkten bewertet. Zunächst bestimmt man die Quantität der Tannine (wenig, mittel, viel) und dann die Qualität. Da Tannine ein Gefühl im Mund auslösen, wird ihre Qualität auch mit entsprechenden Adjektiven beschrieben. Je nachdem, was du am Gaumen wahrnimmst, können Tannine seidig, geschmeidig, griffig, feinkörnig oder auch grob sein.

Aufgrund des austrocknenden Gefühls, das Tannine vermitteln, können tanninhaltige Weine trockener und erdiger wirken, als sie tatsächlich sind.

Buzzwords beim Weinkaufen:

Wenn du Weine bevorzugst, die süßer oder fruchtiger schmecken, dann wähle solche mit weniger Tannin. Halte Ausschau nach Beschreibungen wie sanftes Tannin oder mildes Tannin, schmeichelnd oder auch fruchtig und weich.

Indirekte Kriterien

Alle oben genannten Strukturbausteine sind analytisch messbar und teils schmeckbar (Süße, Säure). Die nächsten beiden Kriterien – Körper und Textur – sind nicht quantifizierbar, sondern indirekte Marker für Struktur eines Weins angeht:

  • Der Körper ist im Wesentlichen abhängig vom Alkoholgehalt.
  • Die Textur ist abhängig von mehreren anderen, teils strukturellen Faktoren.

Weil sie uns aber einiges über die Struktur eines Weins verraten können, nehme ich beide hier als eigene Punkte auf.

5. Körper

Der Körper kann ein ganz guter Startpunkt sein, um die Struktur eines Weins zu beschreiben, denn Körper erkennst du recht einfach. Der Begriff bezieht sich auf das Ausmaß, in dem ein Wein deinen Mund ausfüllt (Mundgefühl) und wie er auf der Zunge liegt (Gewicht).
Der Körper eines Weins hängt von der Menge an Extrakt (verflüssigte Feststoffe), Zucker und Alkohol ab. Je mehr von diesen Komponenten vorhanden ist, desto voller und dichter ist der Wein.

Wie du oben schon lesen konntest, verleiht Alkohol einem Wein Gewicht. So werden Weine mit höherem Alkoholgehalt auch als „vollmundig“ beschrieben.

Im Zusammenspiel mit anderen strukturellen Komponenten, insbesondere Säure, kann der Körper schlanker erscheinen.

Wichtig dabei: der Körper ist kein Qualitätsmerkmal. Die Beschreibung dessen, wie der Wein sich am Gaumen anfühlt, ist wertneutral. Ein vollmundiger Wein ist nicht besser als ein leichter Wein und umgekehrt.

Wichtig ist, dass am Ende alle strukturellen Bestandteile im Gleichgewicht sind: Denn wenn ein leichter Wein nicht von ausreichend Aromen getragen wird, wirkt er schnell dünn und einfach. Und ein kräftiger Rotwein mit zu wenig Säure und Tannin würde schmecken wie Marmelade.

Wenn du verstehen willst, wie unterschiedlicher „Körper“ im Wein sich anfühlen kann, ziehe den Vergleich mit Milch: ein leichter Körper fühlt sich im Mund an wie Magermilch, ein mittlerer Körper wie Vollmilch und ein voller Körper wie Sahne.

6. Textur

Beim Begriff „Textur“ denkt man vielleicht erst mal an Stoffe, Tapeten oder Fassadenputz.
Und wenn vor deinem geistigen Auge jetzt eine Rauhfasertapete auftaucht, ist das gar nicht mal so verkehrt. Die ist nämlich mit ihren Höhen und Tiefen optisch und haptisch komplexer als eine glatt verputzte und weiß gestrichene Wand.

In der Weinansprache steht der Begriff „Textur“ für den haptischen Eindruck eines Weins am Gaumen und auf der Zunge. Es geht also wieder nicht um etwas, das du schmecken kannst, sondern um ein Gefühl am Gaumen. Die Textur wird im Wesentlichen bestimmt vom Zusammenspiel von Tannin, Säure, Alkohol und Dichte (Extrakt) des Weins.
Konzentriere dich beim Probieren darauf, wie der Wein sich am Gaumen anfühlt:

  • Schwer und dickflüssig oder leicht und dünnflüssig?
    Anhand der Viskosität kannst du Rückschlüsse auf den Alkohol-, Restzucker- und Extraktgehalt ziehen.
    Edelsüße Weine mit hohem Restzuckergehalt können eine geradezu sirupartige Konsistenz haben, während ein säurebetonter junger Riesling federleicht über die Zunge läuft.
  • Seidig und weich oder mit ein paar „Ecken und Kanten“? Ist der Wein adstringierend?
    Reifes und gut integriertes Tannin vermittelt einen samtigen Eindruck, während das Tannin in einem jungen Rotwein noch sehr spröde sein kann.
  • Mit Druck bzw. Gewicht auf der Zunge?
    Das kann auf einen höheren Alkoholgehalt hinweisen.
  • Dicht und konzentriert oder leicht und transparent?
    Je mehr Alkohol und Extrakt im Wein vorhanden sind, desto engmaschiger wirkt der Wein am Gaumen.

Buzzwords beim Weinkaufen:

  • Unter einer „guten Textur“ wird im Allgemeinen verstanden, dass sich ein Wein cremig-weich, konzentriert und balanciert auf der Zunge präsentiert. In einer Weinbeschreibung finden sich dann oft Attribute wie cremig, weich, schmelzig, samtig, seidig, konzentriert oder dicht.
  • Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass ein Wein mit ein paar Ecken und Kanten vom Tannin schlechter ist. Beschrieben wird das dann zum Beispiel mit griffig.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Sich mit Weinsensorik und Aromen zu befassen, trägt erheblich zum Weingenuss bei. Aber wenn du tiefer in die Komplexität von Weinen eintauchen möchtest, ist ein gutes Verständnis der Weinstruktur enorm wichtig.
Mit diesem Wissen kannst du zwischen verschiedenen Weintypen unterscheiden und die Weine erkennen, die deinen eigenen Vorlieben am ehesten entsprechen.

Die Struktur eines Weins ist quasi seine Persönlichkeit. Alle strukturellen Komponenten zusammen verleihen dem Wein ein Rückgrat, ein Gesicht und einen Charakter. Hast du deine Lieblings-Weinpersönlichkeit schon gefunden?

Ich hoffe, mit den Tipps aus diesem Artikel wird es für dich einfacher, einen Wein zu finden, der dir sicher schmeckt. Mehr über Aromen und Struktur erfährst du auch im Sensorik-Workshop.
Wenn du noch Fragen oder Anregungen zum Artikel hast, schreib‘ mir gern. Ich freue mich über dein Feedback!

Dieser Beitrag hat dir gefallen?
Teile ihn auf:


Neueste Beiträge